7
Apr
2013

Die Messe - Gott erhalte Franz, den Kaiser

Die Woche ging zu Ende und die Leute strömten in die sonntägliche Messe. Auch meine Gastfamilie besuchte die nahe gelegene Ebenezer United Church und so kam es, dass ich meine ersten unierten Liturgie feiern durfte. Das hölzerne, weiße Kirchlein sah von außen sehr rustikal aus und erinnerte an alte Western. Gespannt öffnete ich die Kirchentür, um zu sehen, welch prachtvolles Inneres sich dahinter verbirgt. Im schlicht gehaltenen Vorraum angelangt suchte ich zuerst vergebens das Weihwasserbecken, fand dafür eine Garderobe vor an der ich meine Jacke ablegte. Der Gang in den Hauptraum, der etwa den Charm eines Seminarraumes an der Uni aufwies, führte zu noch mehr Verwirrung. Der Raum war zwar sehr gut geheizt und die Bänke dick gepolztert, doch ähnelte das Interieur einem schulischen Vortragsraum. Alleine das neonbeleuchtete Kreuz hinter dem vermeintlichen Ambo lies erkennen, dass es sich um eine Kirche handelte.
Anstelle von Rosenkranzgebeten oder erwartungsvollem Schweigen herrschte reges Treiben. Man begrüßte sich, sprach über kürzlich Erlebtes und quatschte als wäre man eben als Schüler nach den Ferien wieder im Klassenzimmer eingetreten.
Die Messe begann, die Seitengespräche verstummten jedoch nur für kurze Zeit. Bald schon hörte man wieder Geschwätz und Mancher drehte sich sogar nach hinten um mit dem Hintermann zu reden. Der Prediger war ein älterer Herr, der die neue Technik ausprobieren wollte und dementsprechend die gesamte Messe mit einer Powerpoint-Präsentation begleitete. Wie ein Lehrer versuchte er die Inhalte mit der Hörerschaft zu verknüpfen und stellt Fragen an die Gemeinde, die rege antwortete. Zudem waren ein Redner und ein Countrysänger eingeladen worden, die ihren Beitrag leisteten. Auch ein kleiner Chor hatte sich aufgestellt um zwei Lieder zu singen, die jedoch mehr nach Karfreitag als nach Nachösterlichem Sonntag klangen. Es mag natürlich sein, dass ich mich irrte und diese Lieder eben so notiert waren, denn immerhin kannte ich keines der Lieder.
In dieser Liturgie, die offenbar nicht dem Aufbau einer katholischen Messe folgte, war es plötzlich Zeit für die Kollekte. Ein Klavier spielte erste Noten und ein wohliges Gefühl kam in mir auf. Im Gegensatz zu allen bisherigen Liedern schien mir dieses nur allzu bekannt. Langsam bildeten sich in meinem Kopf jene Worte: "Gott erhalte Franz, den Kaiser, unsern guten Kaiser Franz!" Langsam begann ich zu realisieren, dass die Melodie der Kaiserhymne an mein Ohr drang und meine Lippen fingen sich mit den Worten "Ihm erblühen Lorbeerreiser, wo er geht, zum Ehrenkranz!" an zu bewegen. Zwar war mein Herz von glühender Wärme erfüllt und ich wäre beinahe mit der Hand an der Brust aufgesprungen und hätte lauthals angefangen zu singen, doch kam mir dieses Lied in einer kanadischen Kirche äußerst eigenartig vor. Als die Kollekte nun vollendet war standen Alle auf und begannen einen spirituellen, englischen Text zu singen. Mein Erstaunen kannte keine Grenzen mehr und ich beschloss trotzdem leise die Kaiserhymne zu singen.
Nach dieser Liturgie, die dem Begriff Participatio actuosa eine neue Bedeutung gegeben hatte und sehr an eine pädagogische Übung erinnert hatte, ging in einen Nebenraum zum Pfarrkaffee mit Chilli und Kuchen. Man aß, trank und unterhielt sich prächtig. So feierte ich also Messe einmal anders.
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